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Nikos Dimou „Über das Unglück ein Grieche zu sein“

Die Aphorismensammlung des 1935 in Athen geborenen griechischen Philosophen, TV- und Radioschaffenden, Schriftstellers und Kolumnisten erschien in Griechenland erstmals kurz nach dem Sturz der Militärchunta im Jahr 1974. Auf Deutsch brachte sie nun 2012 der Antje Kunstmann Verlag heraus. Denn Dimous knackige, kurze Sätze, mit denen er provokant griechisches Wesen und griechische Eigenheiten aufspießt, sind auch heute noch treffend. Natürlich gießen gerade heute manche von ihnen Öl ins Feuer der krisengenerierten Medienschelte auf die Griechen. So sieht manch einer in dem scharfsinnigen und -züngigen Griechen Dimou einen Nestbeschmutzer.

Doch wer wollte ihm gerade heute, wo sich Griechenland auf Krise reimt, widersprechen, wenn er sagt

„Schließ Griechenland in dein Herz und du kriegst einen Infarkt“.

Einst 1974 zu Papier gebracht hatte er den Satz wohl als Reaktion auf die schrecklichen Zeiten der Unterdrückung während der Militärdiktatur von 1967-74 und andere historische Ereignisse davor. Doch sind diese Zeiten noch nicht so lang her, dass sie in Griechenland vergessen wären und viel an der heutigen Misere ruft sie wieder überklar im Gedächtnis wach. Heute erschallt er wieder, der Slogan der damaligen Studentenrevolte gegen die Diktatur „Brot, Bildung, Freiheit“ und man erweitertet ihn mit dem Zusatz „Die Militärchunta hat nicht 1973 geendet“, wenn man auf den Straßen des Landes gegen Gesetzesänderungen und Abgabenerhöhnungen demonstriert, die unverständlich bleiben, weil sie als willkürlich, untragbar und gegen die Ärmsten gerichtet empfunden werden.

Sätze von Dimou wie

„So wie der Mensch die Erbsünde auf dem Buckel hat, so der Grieche seine Sippe“

und

„Zwei Griechen schaffen in zwei Stunden, was ein Grieche in einer Stunde schafft“

geben auch heute zu denken. So sagte mir kürzlich verlegen ein junger Grieche, den ich in seinem Heimadorf bei seinen Eltern wieder fand, nachdem er das Glück in der Stadt gesucht hatte und gescheitert war, dass die Krise mache, dass die Familien wieder enger zusammen rückten. Tatsächlich springen zum Glück heute (Groß-)Familie, Verwandte und Freunde oft ein, wenn der Einzelne angesichts der aktuellen Krise kein Auskommen mehr findet. Man hält zusammen. Unglück im Glück: die Sippschaft auf dem Buckel ist nicht immer die reine Wonne.

Und oft genug habe ich zwei bei der Arbeit – und vor allem beim Debattieren darüber, wie sie am besten zu bewerkstelligen sei – beobachtet. Fleißig, aber nicht gerade allzu produktiv. Denn es hat nicht nur jeder Grieche seine ausgeprägte, eigene Meinung, sondern vor allem auch das dringende Bedürfnis, den andern davon zu überzeugen. Das kann dem Fortgang der Arbeit hinderlich sein. Und das brachte Dimou wohl auch dazu, zu sagen:

Das trostloseste Spektakel der Welt: zehn griechische Intellektuelle in einem Raum. Jeder beim Versuch, die anderen zu Zuhörern zu machen.

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