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„Meine Freundin die Nonne“ von Ilse Piepgras führt erzählerisch in Orthodoxie ein

Das Buch Meine Freundin, die Nonne von Ilka Piepgras ist sicher eine lohnende Lektüre für jeden Griechenlandreisenden. Denn die packende Begegnung zweier Freundinnen, deren Lebenswege weit auseinander gedriftet sind, findet in einem griechisch orthodoxen Kloster statt, in dem die eine von ihnen nun Äbtissin ist. Orthodoxie und Klöster sind allgegenwärtig in Griechenland. Und mit diesem Buch kann man viel darüber erfahren. Vor allem aber kann man eintauchen in die mystische Atmosphäre griechischer Kirchen, die Intensität der orthodoxen Liturgie und das Archaische, Zeitlose am orthodoxen Glauben und Verständnis dafür entwickeln, was es damit auf sich hat – sicher eine Bereicherung beim Kirchen- und Klosterbesuch in Griechenland.

Das Buch ist aber auch eine lohnende Lektüre für jeden, der sich über das Leben Gedanken macht.

Der Leser begleitet zwei deutsche Frauen auf ihren Lebenswegen, zwei Frauen, die als Freundinnen mit ähnlichem familiären, konfessionellen und gesellschaftlichen Hintergrund auf diese Wege gestartet sind: Die Autorin, die eine Laufbahn als Journalistin eingeschlagen hat, und ihre Freundin Charlotte / Diodora, die Nonne, über die sie schreibt. Diodora, wie sich die einstige Kunststudentin Charlotte nach ihrer Konvertierung zum orthodoxen Glauben und ihrem Eintritt in ein orthodoxes Kloster nennt, fand ihr Lebensglück in Griechenland, wo sie Äbtissin wurde. Die Autorin Ilka Piepgras besucht sie dort und versucht, die Wandlung zu verstehen, die sich in ihrer Freundin vollzog. Sie will aber auch die Gelegenheit nutzen, um von der Ordensgemeinschaft etwas für das eigene Leben zu lernen, in dem es ihr an Spiritualität fehlt.

Von der Kunst zum Kloster

Kunst ist das Fach, das die junge Charlotte studiert hat, bevor aus ihr die Nonne und spätere Äbtissin Diodora wurde. Gewissermaßen ist sie durch die Kunst zum orthodoxen Glauben und zu dem Wunsch, ihn in einer Klostergemeinschaft zu praktizieren, gekommen.

„Im monastischen Leben sieht sie ihre ursprüngliche Sehnsucht endlich erfüllt, hier wird sie das verwirklichen können, was sie sich eigentlich von der Kunst erhofft hatte – zum Kern der menschlichen Existenz vorzudringen.

heißt es in dem Buch, das voller Betrachtungen nicht nur zur Religion, sondern auch zur Kunst steckt.

Denn Charlotte beginnt nach ihrem Aufenthalt in Griechenland und ihrem Besuch in einem griechischen Kloster ihr Lebenskonzept als Künstlerin grundsätzlich in Frage zu stellen.

„Ist sie wirklich bereit für diese extreme Form der individuellen, immer aus sich selbst schöpfenden Arbeit? Sucht sie nicht im Gegenteil die Gemeinschaft mit anderen Menschen? Will sie ein Leben lang auf der Suche nach der absoluten Wahrheit bleiben, wie es das Leben als Künstler erfordert? Wäre es nicht viel schöner, den Weg zur Vollkommenheit und Seelenruhe, wie sie ihr der orthodoxe Glaube verspricht, bereits als junger Mensch zu finden?“

heißt es dazu. Sie findet ihn, diesen Weg, mit Hilfe ihres geistigen Führers, ihres Gerondas.

Die Nonne, die Orthodoxie und das Kloster

Frei sein von sich selbst“ ist für Diodora das Wesen ihrer Religiosität. Ihre einstige enge Freundin Ilka stellt ihr viele Fragen zum orthodoxen Glauben. Sie fragt nach einer plausiblen Erklärung für die Wunder, von denen orthodoxe Gläubige berichten und bekommt die Antwort: „So viele Dinge sind unerklärlich, und genau da beginnt das Göttliche.“ Über die Bedeutung des Gebets und des Sich-Versenkens sagt sie: „Natürlich ist wissenschaftlich nicht nachvollziehbar, an welches Wissen man über das Gebet gelangt. Es ist eine höhere Ebene. Es ist eine geistige Übung zur Verinnerlichung von Einsichten, die ansonsten nur auf die Ebene verstandesgemäßen Wissens beschränkt bliebe.“

Das Buch steckt voller solcher Überlegungen zum Glauben und zu Glaubensübungen. Es steckt aber auch voller Details zum klösterlichen Alltag – von Gottesdiensts- und Essenszeiten über die Arbeit in Werkstätten bis zum Empfang von Besuchern. Die Autorin beobachtet, wie jede Aufgabe im Kloster sehr bewusst und meditativ ausgeführt wird und spürt den Gegensatz zum Multitasking ihrer Generation im weltlichen Leben. Das Fehlen von Vorausplanung, die gedämpfte Stimmung und eine gewisse Geheimniskrämerei sind einige der Dinge, die sie innerhalb der Klostermauern befremden. Neben solchen Alltagsbeobachtungen fließen Informationen zur klösterlichen Hierarchie ein. Begriffe wie Archimandrit, Starez, Geronda und Gerondissa werden erläutert. Der Leser gewinnt Einblick in orthodoxes Klosterleben und seine Prinzipien.

Die Protestantin und ihre Gottessehnsucht

Die Autorin Ilka Piepgras, deren Lebensmaxime es war, von nichts und niemandem abhängig zu sein, versucht nicht nur, zu verstehen und zu erklären, wie ihre enge Freundin sich für das Klosterleben entschied. Sie knüpft daran weitere, größere Fragen: Wie soll man leben? Wie verliere ich mich in dem Strudel der Anforderungen nicht selbst? Worauf kommt es an? Sie will nicht leben wie die Nonnen. Sie ist nicht gekommen, um fromm zu werden. Dennoch spürt sie eine unerfüllte Sehnsucht nach etwas, das über ihren turbulenten Alltag hinaus geht und dem sie erst gegen Ende des Buches den Namen Gottessehnsucht zu geben vermag. Sie wünscht sich, sich von den Nonnen darin inspirieren zu lassen, wie man für andere leben kann und dabei glücklich ist. Sie will ihr Leben entschiedener leben, ohne auf die Fülle seiner Möglichkeiten zu verzichten. Sie will lernen, inmitten aller Zerstreuungen gesammelt zu bleiben. Sie meint, die Nonnen im Kloster könnten ihr vormachen, wie das geht. Sie will von den Meisterinnen der Kontemplation die Kunst des Einschränkens lernen.

Eine Freundin verloren, eine Freundin gefungen

Am Ende des Buches stellt die Autorin fest: Charlotte, die Freundin aus Kindertagen, gibt es nicht mehr. Dafür hat sie eine neue Freundin gefunden: Die Nonne Diodora. Auch wenn sie Charlottes Wandlung nicht ganz nachvollziehen kann, so hat sich die Reise für die Autorin gelohnt. Allein schon der Gedanke an Diodora und die Schwestern und an die geheimnisvollen Klöster tut ihr gut. Sie spürt die außergewöhnliche Kraft, die die Nonnen und Mönche aus dem übergeordneten Großen beziehen, auf das sie sich berufen. Sie empfindet es als Hilfe, einen solchen Ort zu kennen und das eigene Leben in Beziehung zu ihm zu setzen.

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Dies ist eine etwas ergänzte und geänderte Fassung meines 2013 bei http://suite101.de/ erschienenen Artikels.
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> Das Kloster von Äbtissin Diodora in Thessalien